Premiere von Luther im Theater am Fluss

Die folgende Reportage wurde ursprünglich im Oktober 2017 in der Zeitung Ruhr Nachrichten Schwerte veröffentlicht.

Schwerte – Wie erlebt man ein Theaterstück als Schauspieler? Wie fühlt es sich an, eine viel geprobte Szene endlich vor Publikum zu spielen? Tristan Thietz war als Schauspieler selber dabei, als die Inszenierung „Luther“ am Dienstag, den 3. Oktober seine Premiere hatte, und berichtet über seine Eindrücke von der Vorstellung.

Um 16 Uhr treffen wir uns in der Theaterhalle. Die Vorstellung ist zwar für 18 Uhr angesetzt, aber vorher sind noch viele Dinge zu tun. Die Brezeln fürs Foyer müssen frisch aufgebacken, Requisiten müssen bereitgelegt werden. Das Bühnenbild muss „auf Null“ gesetzt werden, das heißt, es muss für die erste Szene alles fertig aufgebaut und angeordnet werden. Es herrscht eine nervöse Stimmung in der Halle, viele gehen gedanklich oder leise murmelnd ihren Text durch, sprechen letzte Dinge ab, die sie später auf der Bühne berücksichtigen müssen. Generell wird es immer laut, wenn sich die Schauspieler auf die Vorstellung vorbereiten, denn die meisten sind angespannt, und dann liegen die Nerven ein bisschen blank.

Auch ich bin nervös; die Probenzeit von Luther war mit vielen Herausforderungen verbunden; mit 25 Leuten sind wir eines der größten Ensembles der letzten Jahre in unserem Theater, und mit dreieinhalb Stunden Spielzeit und über 40 Szenen ist „Luther“ auch eine der längsten Inszenierungen.

Wie das Publikum das Stück aufnehmen wird wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, heute ist nicht nur die Premiere von „Luther“, sondern sogar die Uraufführung. Unser Regisseur Stefan Schroeder hat Stück selber verfasst, mit großer historischer Genauigkeit zeichnet er darin Luthers Leben nach, und das erfordert eine große Gruppe an Schauspielern, die teilweise in mehrere Rollen schlüpfen müssen.

Entsprechend aufwändig und langwierig waren natürlich die Proben, zu allem Überfluss musste auch die Premiere verschoben werden – nachdem unser Hauptdarsteller mit dem Fuß böse umgeknickt war, wurde die erste Vorstellung am Sonntag abgesagt.

Doch heute ist es endlich so weit, und mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf. Wie wird das Stück ankommen? Haben wir auch wirklich genug geprobt?  Mittlerweile kann ich ich meinen Text, aber im kleinen Kreis zu proben fühlt sich immer anders an, als sich vor einem Publikum öffentlich zu präsentieren. Werden die Szenen wirklich reibungslos laufen? Das Ensemble ist sogar so groß, dass wir gar nicht alle in die normale Garderobe hinter der Bühne passen, wir haben nur für das große Ensemble noch weitere Räume in der Theaterhalle bezogen, im ersten Stock haben wir jetzt eine weitere, große Garderobe. Dort gehe ich um 16:30 hoch; mein Kostüm liegt bereit. Ich spiele eine kleine Rolle, einen Professor an Luthers Universität, mein Kostüm, ein schlichter schwarzer Anzug, hängt für mich am Kleiderhaken. Nach und nach trudeln immer mehr Schauspieler im ersten Stock ein, in der großen Garderobe. Hier oben sind wir so weit von der Bühne entfernt wie sonst nie, damit wir nachher wissen, wann wir auftreten müssen, haben wir ein Funkgerät. Ein einzelner Schauspieler aus unserem Ensemble wird während der gesamten Vorstellung am Bühnenaufgang stehen, das Stück verfolgen und uns über das Funkgerät auf dem Laufenden halten, wann wir dran sind. Eine völlig ungewohnte Methode für uns, und ein weiterer Unsicherheitsfaktor.

Um 17:35 schließlich kommt Stefan, unser Regisseur zu uns hoch in die große Garderobe für eine kurze Ansprache, auch das gehört zu jeder Vorstellung dazu. Er wünscht uns viel Glück und sei zuversichtlich, dass alles gut laufen wird. Die Nervosität ist ihm ein bisschn anzumerken. Wir stellen uns zusammen in einen Kreis, klopfen unserem linken Nachbarn auf die Schulter, unserem rechten Nachbarn, und flüstern dabei „Toi, toi, toi!“ Das soll Glück bringen.

Niemand antwortet mit „Danke“ – das würde Unglück bringen. Niemand ist so abergläubisch wie  Schauspieler, aber wer vor einer Vorstellung so aufgeregt ist wie ich selber zum Beispiel, der entwickelt  Rituale, um sich sicher zu fühlen.

Stefan und die Schauspieler, die am Anfang dran sind, gehen schon mal runter. Um kurz nach 18 Uhr bekommen wir per Funk die Nachricht „Es hat angefangen“. Jetzt beginnt der anstrengendste Teil: Warten. Da die meisten ersten Leute in Szene 9 das erste Mal auftreten, haben wir die ersten Szenen über nichts zu tun. Noch bekommen wir von der Premiere, die unten läuft, nichts mit, wir wissen nicht, wie viele Zuschauer da sind, und hören ihre Reaktionen nicht. Die Zeit vergeht, einige lesen Zeitung, essen, spielen am Handy, hören Musik. Im Abstand von Minuten kommen  Funksprüche durch wie zum Beispiel „Noch eine halbe Seite bis Szene 3!“  – „Jetzt beginnt Szene 3!“ Schließlich die der Funkspruch „Alle für Szene 9  runter!“

Auf einmal setzen sich alle in Bewegung, wir schleichen uns über die Treppe ins Erdgeschoss, dann durch den Flur, und in die kleine Garderobe, die direkt an die Bühne grenzt. Jetzt trennt uns nur noch eine Tür von dem Scheinwerferlicht, und ich merke, wie  dieses vertraute Kribbeln langsam in meinem Bauch aufsteigt, die Aufregung, die ich jedes Mal vor dem Auftritt habe. Szene 8 ist zu Ende, die Scheinwerfer gehen kurz aus, das ist unser Zeichen. Wir eilen auf die Bühne, ich erhasche im Halbdunkel einen ersten Blick auf das Publikum, und auf einmal bin ich in helles Scheinwerferlicht getaucht. Ab jetzt wird gespielt.

Während ich über die Bühne renne, schleiche und stolziere, meinen Text mal rufe und mal vertraulich rede, lasse ich meine Augen unauffällig über das Publikum schweifen. Es ist voll in der Halle, etwa 80 Zuschauer sind da. Allein in der ersten Reihe sitzen drei Fotografen, am Bühnenrand steht der vierte. Ich entdecke auch hier und da vertraute Gesichter, Freunde und Bekannte. Wann immer eine Szene zu Ende ist, laufen wir zurück in die kleine Garderobe, und wenn wir viel Zeit bis zu unserer nächsten Szene haben, wieder in den ersten Stock. Ab jetzt geht alles Schlag auf Schlag; eine Szene nach der anderen kommt, es läuft gut, jeder kann seinen Text, wir bekommen sogar Szenenapplaus.

Ob ein Stück funktioniert oder nicht merkt man dem Publikum an, und zwar sofort. Mein Eindruck beim Spielen: Die Zuschauer sind wirklich im Geschehen, sie lauschen aufmerksam an den ernsten Stellen und lachen in witzigen Momenten. Es funktioniert.

Schließlich ist Pause, eine Viertelstunde zum Verschnaufen, sich nochmal konzentrieren, bevor es weitergeht. Stefan kommt hoch hoch, um uns eine erste Rückmeldung zu geben. Wie er das Publikum heute einschätzen würde frage ich ihn. „Ich glaube die sind heute ganz gut drauf.“, meint Stefan lächelnd.

Dann geht es weiter; in Zeitraffer spielt sich Luthers ganzes Leben auf der Bühne ab , der Reichstag zu Worms, die Bücherverbrennung durch Luther und so weiter und so fort. Viele Szenen hat man bei den Proben schon so oft durchgespielt oder angeguckt, dass man die Sätze der anderen schon mitsprechen kann. der vorletzten Szene verhaspel ich mich ein bisschen; ich sage meinen Satz etwas zu spät, aber mit etwas Improvisation überspielen wir das.

Improvisation gehört eigentlich immer dazu; jedes Publikum ist anders, reagiert anders und beeinflusst dadurch auch die Art und Weise, wie sich die Schauspieler auf der Bühne fühlen und wie sie bestimmte Dinge ihrer Rolle ausspielen. Jede Aufführung wird dadurch einzigartig.

Schließlich endet das Stück mit Luthers Tod. Zum Applaus kommt das komplette Ensemble auf die Bühne, wir sind so viele, dass wir kaum alle in eine Reihe passen, aber nach der ersten Verbeugung verklingt der Applaus nicht, wir müssen noch einmal aus der Garderobe raus und uns ein zweites Mal verbeugen. Nachdem wir uns schnell umgezogen haben rasen wir Schauspieler immer so schnell wie möglich in den Zuschauerraum, um noch ein paar Zuschauer beim Rausgehen zu erwischen. Jeder findet immer ein paar bekannte Gesichter unter den Zuschauern, jetzt wird nach der Aufführung gequatscht und gewitzelt, und am meisten von allen strahlen immer die Schauspieler. Ein bisschen Eitelkeit gehört zum Theaterspielen vielleicht auch dazu.

Die Arbeit endet natürlich nicht mit dem Schlussapplaus; nachdem das Publikum gegangen ist, müssen die Requisiten sortiert, die Halle aufgeräumt und der Premieren-Sekt getrunken werden, das erledigt sich ja nicht alles von alleine. Stefan hält zum Abschluss im Kreise seines Ensembles eine kurze Ansprache; diesmal ist es Erleichterung, die man ihm anmerkt; auch das gehört zum Theater dazu, der ständige Wechsel von Anspannung und Entspannung, von Aufregung und Erleichterung. Schließlich löst sich die Truppe für diesen Abend auf; gegen 23 Uhr bin ich endlich zuhause, müde, aber auch glücklich. Wieder ein Tag rum. Wieder eine Aufführung geschafft. Genug Theater gespielt. Zumindest bis zur nächsten Aufführung. Theater macht müde, aber auch süchtig.

Info: Die nächsten Aufführungen von „Luther“ sind am 15. Oktober um 18 Uhr, sowie am 5., 6., 13. und 14. Oktober um 19:30 Uhr in der Halle 4 der Rohrmeisterei.

Wer selber Interesse hat, beim Theater am Fluss mit zu spielen, kann sich unter info@theateramflus.de melden.

Tristan Thietz

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